Von Montespluga bis Chiavenna über die wenig frequentierte Valle Spluga Route
40 km, 3.300 Höhenmeter, 35 kg Gepäck und schwieriges alpines Terrain fordern nicht nur unser Orientierungsvermögen
Übernachtung in abgeschiedenen Biwaks oder im Zelt mit unglaublicher Aussicht
Die letzten Reste der Gletscher im Valchiavenna entdecken
Wenige Wanderer, dafür Steinadler, Murmeltiere und viele glückliche Ziegen und Kühe
Bevor wir nach Südamerika aufbrechen, sind wir noch ein paar Wochen im Valchiavenna - unserer Wahlheimat. Im August ist es hier brütend heiß. Bis auf wenige Gewitter herrschen konstante 35 Grad. Da lässt es fast nur am See oder auf über 2.000 m aushalten. Wir entscheiden uns für Letzteres. Die Trekkingtour über die wilden Pässe des Splügentals habe ich schon länger auf meiner Bucketlist.
Da wir in den letzten Monaten eher auf Meereshöhe unterwegs waren, machen wir noch zwei kleinere Tagestouren, um uns zu akklimatisieren. Ob das reicht?
Auf dieser Seite des Splügentals gibt es keine Rifugios oder Einkehrmöglichkeiten. Zum Übernachten nutzen wir die Biwaks des italienischen Alpenvereins oder unser Zelt. Dementsprechend schwer ist unser Gepäck. Zelt, Schlafsäcke, Isomatte etc. Dazu kommt noch Essen für 4 Tage und natürlich Micha's Fotoausrüstung. Schließlich kommen wir zusammen auf 35 kg. Micha darf natürlich ein bisschen mehr tragen als ich :-)
Wir fahren mit dem Bus nach Montespluga; von dort aus geht es zu Fuß zu unserer ersten Übernachtungsstation, dem Bivacco Cecchini (>>> hier sind wir sehr oft im Winter). Die Etappe ist relativ kurz - gottseidank - denn der Bus nach Montespluga geht nur spätnachmittags. So können wir erst um 16:30 Uhr loslaufen. Zur Abendsonne sind wir oben auf ca. 2.740 m - ein herrliches Panorama erwartet uns. Wir haben bestes Bergwetter: klare Sicht und kaum Wolken. Trotzdem wird es echt schnell kalt. In den Biwaks gibt's keinen Ofen. Daher hilft nur Tee, ein warmes Abendessen und dann schnell ab in den Schlafsack.
Am zweiten Tag haben wir Einiges vor. Zwar sind es "nur" 13,5 km an Strecke, dafür verspricht der Weg einige Höhenmeter. Und noch ahnen wir nicht, wie schwierig das Terrain wirklich ist. Wir kennen das Valchiavenna schon einigermaßen, aber es ist immer noch für einige Überraschungen gut. Der Abstieg vom Bivacco Cecchini ins Valle Schisarolo hat es in sich. Bis auf ein paar spärliche Wegemarkierungen deutet nichts auf einen Wanderweg hin. Wir steigen über die Geröllfelder des Ferré Gletschers und sehr steiles Terrain ab. Zwischendurch sehen wir eine große Ziegenherde, die sich in dem Gelände sichtlich wohl fühlt. Danach geht es zwar einigermaßen flach weiter, Markierungen sind allerdings nach wie vor rar. Gut, dass wir uns zusätzlich mit GPS orientieren.
Es ist schon nach 17 Uhr, als der Schlussanstieg zum Lago Grande bevorsteht. Hier wollen wir zelten. Eine alternative Übernachtungsmöglichkeit im Biwak gibt es für diese Nacht leider nicht. Wir müssen einiges an Motivation zusammenkratzen, aber die Mühe lohnt sich. Die Hochebene ist malerisch. Außer ein paar Kühen treffen wir niemanden weit und breit. Die Herde ist ganz schön neugierig und rückt uns richtig auf die Pelle. Als sie schließlich unsere Rucksäcke abschleckt, startet Micha seine Drohne, um sie zu vertreiben. Sorry, ich weiß, was jetzt viele denken werden, die waren aber echt mega aggressiv.
Am nächsten Tag steht uns eine ähnlich lange Etappe bevor. Wir spüren noch immer unsere Knochen vom vorangegangenen Wandertag. Aber so ist es nun mal bei Mehrtagestouren - der Verschleiß steigt exponentiell :-) Wir laufen zunächst ein Stück zurück, um die Abzweigung zum Lago Bianco zu finden. Und da geht das Pfadsuchen schon wieder los. Nicht das letzte Mal an diesem Tag. Oftmals gibt es entweder keine Markierungen oder der Pfad stimmt nicht mit unseren GPS Koordinaten überein. Und so entscheiden wir, dass wir ab sofort immer den Markierungen - sofern vorhanden - folgen. Dies wird dann aber auch zunehmend schwerer, da mittlerweile Nebel aufgezogen ist :-) Der erste Teil läuft dann aber echt gut und wir sind mittags am Lago Bianco. Bisher kennen wir ihn nur vom Winter. Auch im Sommer bietet die Pian de Cavalli eine malerische Kulisse. Jetzt geht es nur noch über den Passo Barnan zum Bivacco Ca'Bianca. Dieses markiert ungefähr die Hälfte der heutigen Tagesetappe; deshalb wollen wir dort Mittagspause machen. Der Weg dorthin zieht sich allerdings. Völlig entnervt kommen wir kurz von 15 Uhr an. Und das soll die Hälfte sein? Wir stehen kurz davor, dort zu übernachten. Dann würde allerdings die folgende Etappe nicht mehr aufgehen. Ein netter Italiener, den wir am Biwak treffen, meint, er sei die Strecke zum Bivacco del Servizio vor 2 Jahren gelaufen und zeigt uns die Richtung im Gelände. "Es ist ungefähr auf derselben Höhe. Einfach hier runter und dann auf der anderen Seite wieder hoch." Bei genauerem Nachfragen erfahren wir, dass er 4-5 Stunden dafür gebraucht hat. Aber er bestätigt "Alles machbar." Klar!
Wir laufen mal los. Der Weg ist tatsächlich größtenteils angenehmer, wie das, was wir bisher von unserer Tour gewohnt sind. Wieder mal sehen wir unzählige Murmeltiere, die aufgeregt pfeifen, sobald Menschen in der Nähe sind. So süß! Leider sind sie auch viel zu schnell in ihren Löchern für die Kamera. Zur "Goldenen Stunde" sind wir dann am Schlussanstieg zum Biwak. Eine gute Gelegenheit für ein paar grandiose Aufnahmen. Endlich angekommen, sind wir platt, aber stolz wie Oskar. Kurz nach unserer Ankunft kommt noch ein Wanderer an, der seine Tagestour etwas unterschätzt hat und frägt, ob ein Platz für ihn frei ist. Da er ohne Übernachtungsproviant unterwegs ist, verpflegen wir ihn mit Pastasciutta und Tee.
Die letzte Etappe steht bevor. Wir haben fast nur Abstieg vor uns. Ein Graus für die Knie. Und das Gelände ist mal wieder hardcore. Gleich zu Beginn geht es den Passo del Servizio runter. Als wir die Markierung sehen, können wir erst kaum glauben, dass wir da lang müssen. Es geht "direttissima" über ein Geröllfeld nach unten. Und nach einer kleinen Ebene, gleich nochmal eines. Wenn ich den Weg gekannt hätte, hätte ich die Etappe so nicht geplant. Schaut Euch das mal an:
Bei rutschigem Gelände mit schwerem Gepäck ist das schon echt krass. Aber wir sind unten angekommen. Und mal wieder hat uns die Natur belohnt - in dem versteckten Hochtal kreisen Steinadler mit einer riesigen Spannweite über uns. Leider hatte Micha sein Teleobjektiv nicht dabei. Jetzt geht es gemächlich im Valle del Truzzo entlang, bis wir den gleichnamigen Stausee erreichen. Am Bivacco Carlo Emilio machen wir unsere Mittagspause und sammeln Kräfte für den letzten Abstieg.
Bis nach San Bernardo sind es noch 1.100 m nach unten. Auch wenn der Weg einigermaßen gut ist, finden unsere Knochen das nicht mehr so toll. Im Valle del Drogo gibt es ein hübsches Agriturismo "Dai Camuscin", das von einem jungen Paar bewirtet wird. Da stärken wir uns erstmal. Die gemischte Platte mit hausgemachten Leckereien schmeckt fantastisch. Und nach den Entbehrungen und Strapazen der letzten Tage, fühlen wir uns wie im siebten Himmel.
Von San Bernardo wären es nochmal 800 Höhenmeter und 10km nach Hause. Das wollen wir unbedingt vermeiden. Leider gibt es hier keine Busverbindung. Und so fragen wir ganz offensiv am Wanderparkplatz nach einer Mitfahrgelegenheit. Glücklicherweise bietet uns gleich ein italienisches Paar an, uns mitzunehmen. Wir können es kaum glauben, als sie mit ihren zwei Hunden (keine Handtaschenhunde!) auf das kleinste Auto am Parkplatz zusteuern. Aber nicht ist unmöglich - die Rücksäcke werden in den Kofferraum gequetscht, wir nehmen die Hunde auf den Schoss und auf geht's! Die Italiener sind einfach so herrlich unkompliziert. Wir sind so dankbar :-)
In Summe war die Tour echt härter als gedacht. Ein bisschen was lässt sich vielleicht auf unsere mangelnde Übung in letzter Zeit zurückführen, vieles aber auf das unwegsame Gelände. Dafür ist das Splügental allerdings noch immer echt wild und unberührt. Und es hat einfach seinen ganz besonderen Charme für uns, abseits der Massen zu wandern. Im Nachhinein sind wir mächtig stolz. Es schadet nicht, sich ab und zu etwas zu schinden und zu entbehren. So weiß man die Selbstverständlichkeiten des Alltags, wie eine Dusche oder ein belegtes Panini, wieder vielmehr zu schätzen. Und die letzten heißen Tage im Valchiavenna entspannen wir nun am See :-)
Hier seht ihr nochmal unsere Etappen im Überblick:
Etappe 1: Montespluga - Bivacco Cecchini 4,9 km, 852 m bergauf
Etappe 2: Bivacco Cecchini - Lago Grande 13,5 km, 924 m bergauf, 1.376 m bergab
Etappe 3: Lago Grande - Bivacco Servizio 10,1 km, 1.164 m bergauf, 897 m bergab
Etappe 4: Bivacco Servizio - San Bernando 11 km, 442 m bergauf, 1.790 m bergab
Falls ihr Lust auf das Valchiavenna bekommen habt, lege ich Euch meine Homepage www.valchiavenna.de ans Herz. Dort findet ihr zahlreiche Empfehlungen für jede Jahreszeit in dieser wunderschönen, authentischen Region Italiens.
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